Die Corona-Zeit hat vieles auf den Kopf gestellt. Zahlreiche Deutsche entdecken Podcasts als Quelle für Informationen, Unterhaltung und Nähe. Podcaster und Experten wie Stefanie Stahl, Paula Thurm und Larissa Vassilian erklären, was hinter den Podcast-Trends steckt.
Plötzlich war nichts mehr, wie es war. Restaurants waren geschlossen, Urlaube wurden storniert, Begegnungen fielen flach. Die Corona-Pandemie markiert einen tiefen Einschnitt in das Leben vieler Menschen. Doch Not macht erfinderisch und so wenden sich viele Menschen Podcasts zu. Insbesondere Informations- und Talkpodcasts werden in der Pandemie hoch gehandelt. Doch wieso sind gerade diese Podcast-Trends entstanden? Und welche Podcast-Trends könnten zum Ende der Krise an Momentum gewinnen?
Stefanie Stahl zu Podcast-Trends während Corona
Die Psychologin, Autorin und Podcasterin Stefanie Stahl nimmt bei der Einschätzung der Podcast-Trends eine psychologische Perspektive ein. Durch ihre 30-jährige Berufserfahrung in der psychologischen Praxis kann sie die Bedürfnisse von Menschen gut einschätzen. In ihren zwei Podcasts „So bin ich eben“ und „Stahl aber herzlich“ teilt sie ihr Wissen und macht es auch für Laien verständlich.
Sie sieht eine Ursache für die Podcast-Trends hin zu intimen Talkformaten in der Corona-Krise selbst. „Unser Bedürfnis nach Nähe wird in Zeiten von Social Distancing nicht befriedigt. Podcasts sind für Menschen eine Möglichkeit, sich den Wunsch nach sozialen Kontakten zu erfüllen.“
„Das ist kein Luxusbefürfnis!“, erläutert Stefanie Stahl weiter. „Wir sind genetisch darauf ausgelegt mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ein kleiner Ersatz für die sozialen Kontakte sind diese Formate, in denen wir uns geborgen fühlen. Es fühlt sich so an, als ob wir unter Freunden sind. Außerdem können die in Podcasts transportierten Informationen dabei helfen, den Gefühlen von Unsicherheit und Unberechenbarkeit entgegenzuwirken.“
Für den weiteren Verlauf der Pandemie sieht sie großes Potenzial zur Persönlichkeitsentwicklung. Sie empfiehlt, die Corona-Zeit nicht nur als Krise, sondern als Chance zu sehen. Die Pandemie sei „eine gute Zeit für Selbstreflektion. Daher kann ich mir vorstellen, dass Beziehungsformate und psychologische Formate an Zulauf gewinnen. Zumindest sehe ich in den Podcasts, die ich herausbringe, dass die Hörerschaft dort gerade stark wächst und auch die Nachfragen sehr, sehr stark wachsen. Das empfinde ich als positiv. Krisen bringen immer Veränderungen – und Chancen, wenn man sich den Herausforderungen stellt.“
Florian Kasten sieht Podcast-Trend zu Nischenthemen
Florian Kasten ist Podcast-Experte, Referent an der Uni Eichstätt-Ingolstadt und einer der Geschäftsführer von Schønlein Media. Er konzeptioniert und produziert erfolgreiche Podcasts wie 110 Prozent Berlin oder Einschlafen mit Wikipedia. Dank seiner Referententätigkeit kann Florian die Podcast-Trends mit wissenschaftlichen Studien abgleichen, er verweist dabei besonders auf den Reuters Digital Report 2020.
Seiner Einschätzung nach hören „gerade ältere Menschen Podcasts wegen ihres Informationsgehalts. Dazu suchen wir in unsicheren Zeiten vermehrt nach verlässlichen Informationen. Verlässlichkeit definieren wir für uns selbst stark über emotionale Aspekte.“
Talkformate, so Florian Kasten weiter, „bedienen den Eskapismus, dem wiederum eher junge Menschen nachgehen.“ In einer Zeit, in der Faktenlagen sich schnell überwerfen und es wenige Gewissheiten gibt, sind Podcasts ein Mittel zum „der Realität kurz entfliehen, abschalten und sich unterhalten lassen. Mood Management ist da vielleicht auch ein Thema. Ich mache meinen Lieblingsquatschpodcast an, weil ich weiß, dass ich mich dann gut fühle.“
Podcast-Trends für die Zeit nach Corona sieht Florian in Special-Interest-Themen und der Monetarisierung selbst kleiner Angebote. „Podcasts werden noch nischiger. In ganz naher Zukunft wird es dynamische Native Ads geben. Dadurch werden dann auch Special-Interest Podcasts monetarisierbar, die ihre Streams eher im Longtail sammeln. Langfristig wird Spotify die Einbindung von Musik in Podcasts ermöglichen. Das bindet die Podcaster dann noch mehr an die Plattform. Im nächsten Schritt kommt dann lineares Podcastprogramm, ähnlich wie Netflix sowas in schon in Frankreich testet.“
Marketing-Expertin Paula Thurm sieht Podcast-Trend zum Dialog
Paula Thurm, Marketing- und Podcast-Expertin beobachtet eine voranschreitende Verbreitung des Mediums. Nicht nur, dass Podcasthörer häufiger einschalten – auch Menschen, die vorher keine Podcasthörer waren, fanden plötzlich Angebote, für die sie sich interessierten.
„Seitdem Christian Drosten den Coronavirus-Update Podcast gestartet hat, hören jetzt auch meine Eltern Podcast. Daher hat dieser Podcast wohl nicht nur der Baby Boomer Generation das Medium Podcast näher bringen können. Er war letztes Jahr auch einer der beliebtesten Podcasts Deutschlands und ist somit ganz bestimmt auch Schuld an dem Positiv-Trend der Info-Podcasts.“
Podcast-Trends für die Zukunft sieht die Expertin insbesondere in der Interaktivität und neuen Dialogmöglichkeiten, denn Audio muss keine Einbahnstraße sein. Clubhouse habe zum Beispiel gezeigt „dass der Austausch per Audioformat sehr gut ankommt und gefragt ist. Vermutlich auch, weil wir aktuell nicht den gewohnten Austausch mit anderen Menschen offline haben können, aber ich glaube interaktive Formate werden in Zukunft noch viel Potenzial mit sich bringen. Paris Hilton hat gerade erst ihren Podcast gelauncht, wo sie direkt auf Hörerfragen eingeht. Auch Spotify arbeitet schon an einem Umfrage-Feature für Podcaster. Ich könnte mir auch ein Quiz Show Format vorstellen im Podcast.
Doch Paula Thurm sieht auch Grenzen. Weniger im Medium an sich, sondern eher in der Rezeption. Kurzum: es gibt zu viele Angebote, um sich alles anhören zu können. „Die Auswahl wird immer größer, aber die Zeit der Konsumenten ist endlich. Die Lösung: Kurzformate. Tägliche 2-3 Minuten Podcast-Folgen mit dem beliebten ’snackable Content‘ werden meiner Meinung auch mehr werden. Wenn ich mir allerdings bei einem sicher bin, dann dass das Kreativitätspotenzial des Podcasts noch lange nicht erschöpft ist.“
Larissa Vassilian: Podcast-Trends während und nach Corona
Larissa Vassilian greift bei ihrer Einschätzung der Podcast-Trends auf ihre persönliche Expertise, zurück. Die Autorin, Dozentin, Journalistin und Podcasterin der ersten Stunde hat „rein persönlich den Eindruck, dass neben den Infoformaten vor allem die Laberformate auf dem Vormarsch sind. Weil wir alle in gewisser Weise unter der Einsamkeit leiden und es schön ist, sich ein paar Podcastfreunde ins Wohnzimmer zu holen.“
Anschluss und Gemeinschaft sind wichtig. Sie befriedigen unser Bedürfnis nach Nähe, gleichzeitig helfen sie auch informiert zu bleiben. Denn informiert sein bedeutet zu verstehen und zu verstehen hilft Menschen zu einem Gefühl von Kontrolle. Larissa Vassilian beschreibt es so: „Informationsformate geben uns natürlich das Gefühl, unser Leben in der Pandemie durch Verstehen ein wenig in den Griff zu bekommen. Denn die Entwicklung rast voran, medizinisch kriegen wir nicht alles mit, und dennoch entscheidet all das Medizinische, wie unser Leben in den nächsten Monaten weitergehen wird. Wir sind dem hilflos ausgeliefert, und durch Information hat man wenigstens ein bisschen das Gefühl, das Ruder in der Hand zu haben.“
Während die Experten Florian Kasten und Paula Thrum die Podcast-Trends zum Ende der Corona-Zeit vorwiegend in technischen oder strukturellen Neuerungen beschreiben, geht Larissa Vassilian eher auf Inhalte. Für genaue Prognosen sei es zu früh, doch als vorsichtigen Tipp schlägt sie vor: „Vielleicht Reise-Podcasts, die uns sagen, wie wir verantwortungsvoll und sicher reisen können? Uns Tipps geben für Ausflüge? Uns aufmerksam machen auf Geheimtipps?“ Die Einschätzung ergibt Sinn, tatsächlich hat 2021 Potenzial das goldene Jahr der Camping- und Outdoorpodcasts werden.
Prof. Dr. Udo Thiedekes Blick auf aktuelle Podcast-Trends
Professor Dr. Udo Thiedeke von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unterhält sich im Podcast Das soziologische Duett über soziologische Perspektiven. Gemeinsam mit seinen Gesprächspartnern diskutiert er wissenschaftliche Themen und Sichtweisen auf die Welt. Als Professor und Podcaster sieht er durch den Corona-Lockdown besonders zwei Entwicklungen forciert.
„Zum einen eine voranschreitende Digitalisierung und damit verbunden auch Virtualisierung, also Entgrenzung von Möglichkeiten, individuelle Interessen zu pflegen und zu vertiefen. So kann man sich nach den Sachen umschauen, die in den massenmedialen Angeboten nicht bedient werden.
Zum anderen sind wir durch den Lockdown, Homeoffice & Co. jetzt zunehmend auf das virtuelle Kuscheln gekommen. Da sind kleinteilige und man könnte sagen ‚intime‘ Formate interessant und naheliegend.“
Auch zukünftig sieht Dr. Thiedeke Podcast-Trends in „genau diesen eher kleinteiligen persönlichen, aber dennoch informativen und engagierten Formaten mit Möglichkeiten, sich selbst ‚anzuschließen‘ und rückzukoppeln.“